Armenien 2018

Drei ganz persönliche Eindrücke von der großen Armenien Exkursion des Forums haben Sarah, Simeon und Kalle für euch vorbereitet:


Sarah-Christin Uhlmann

Und was kommt nach dem Studienjahr?

Zurück in der altbekannten Umgebung, an der vertrauten Heimatfakultät, in einem stressfreieren Alltag gibt es doch so viele Erinnerungen an das Studienjahr in Jerusalem, welche weder vom Studium noch von den Dozierenden oder Mitstudierenden, aber auch nicht von den Freundschaften oder der Familie aufgefangen werden können: Ein theologisches Interesse, das vom Frühstückssaal über die Vorlesungseinheiten bis zum mitternächtlichen Gespräch nach den zusätzlichen Abendveranstaltungen reicht; die Lust am Diskutieren und nicht einfach alles als gegeben hinzunehmen; das gemeinsame Engagement, Theologie spirituell und liturgisch umzusetzen, ob konfessionell, ökumenisch oder interreligiös; und schließlich: der Exkursionsdurst – das Gelernte im Feld anzuwenden und über die Theorie hinauszugehen, alles mit eigenen Augen zu sehen und dadurch vielleicht nochmal anders wahrzunehmen.


So viel zu meiner Situation nach dem Studienjahresende 2016 – und dann kam die Armenienreise des Forums im Frühjahr 2018. Da waren Menschen ganz unterschiedlichen Alters und verschiedenster Lebenssituationen um mich herum, die das Studienjahr – von den ersten Jahrgängen bis zum 42. Studienjahr – auch erlebt hatten, die ebenfalls gewillt waren von früh morgens bis spät abends durch das ganze Land zu reisen, um jede Facette (kirchlich-)armenischen Lebens mitzunehmen, und die genauso wie ich die Vorliebe hatten, sich theologisch weiterzubilden, fremde Kulturen kennenzulernen sowie die religiöse Perspektive nicht an den Schreibtisch zu verbannen. Immerhin für neun Tage wurde nicht nur mein Exkursionsdrang, sondern auch mein Hang zur Ostkirchenkunde und Ökumene gestillt – ganz á la Studienjahr profitierten wir von den Kontakten und Kenntnissen der Studienjährler(-innen) und befanden uns als eine konfessionell gemischte Reisegruppe auf dem Weg durch ein zutiefst christlich geprägtes, orientalisch-orthodoxes Land.


Als das Forum die Reise ausschrieb, war für mich augenblicklich klar, dass ich buchstäblich jeden Preis dafür zahlen würde: Armenien stand seit mehreren Jahren auf Platz eins meiner Reiseziele. Wenn mich eine (orientalisch-)orthodoxe Tradition in meinem ostkirchlichen Schwerpunktstudium mit ihrem christlichen Selbstbewusstsein und ihrem rituellen Ausdruck der Göttlichen Liturgie besonders inspiriert hatte, dann war es die armenische. Ob meine Erwartungen erfüllt oder übertroffen wurden, kann ich nicht sagen, denn es zeichnete sich ein ganz neues, an anderen Stellen akzentuiertes Bild ab: Armenien ist ein zutiefst ambivalentes Land, das immer noch in den Nachwehen der ehemaligen UdSSR liegt und wo sich Sowjetnostalgie und der Wunsch nach einem wirtschaftlichen Neubeginn begegnen, dessen Bürger(-innen) zwischen einer modernen, europäisch wirkenden Hauptstadt und einer Arm-Reich-Schere wandeln, in welchem man für demokratische Grundwerte und gegen das Oligarchentum sowie die politische Ohnmacht zu kämpfen bereit ist, wo einerseits die Nationalität nicht vom christlichen Glaubensbekenntnis zu trennen ist, der karitativ-öffentliche Einflussbereich der Kirche aber andererseits gerade erst die ersten Schritte wagt, eine christliche Insel in einem islamisch geprägten Staatenpool, die von einem Volk, das durch die Erinnerungen an Vertreibungen, Eroberungen, Diaspora und Genozid verbunden ist, über Wasser gehalten wird.

 

An einer Stelle wurde mein Bild jedoch nur noch präziser und kräftiger nachgemalt: Die Heilige Liturgie als Abbild des himmlischen Gottesdienstes. Der sonntägliche Besuch des religiösen Zentrums Armeniens, namentlich die Teilnahme an der Heiligen Liturgie in der Kathedrale von Etschmiadsin, war mein „Armenienreise-Highlight“ ohnegleichen und ein Erlebnis, das mich noch Wochen darauf spirituell getragen sowie (ich muss gestehen) in zahlreichen Videoaufnahmen träumerisch erinnernd begleitet hat.

Eine ganze Schar Gottdienender am Altar gekleidet in leuchtend-majestätischen Gewändern; das ehrfurchtgebietende und mit einem Vorhang geschützte Allerheiligste; Mitfeiernde, die zugleich kirchlich sehr beheimatet zu sein schienen aber auch den Kirchenraum als Begegnung nutzten; ein Erleben zwischen sich fremd anhörenden, orientalisch anmutenden Melodien und bekannten, christlichen Tönen; und zu guter Letzt der Chor: ein Ensemble aus Männern und Frauen, die die Liturgie mit ihren Stimmen trugen, Emotionen und Bestimmung des Geschehens musikalisch übermittelten und das liturgische Geschehen mit ihren engelsgleichen Stimmen noch himmlischer erscheinen ließen.

 

Wenn der Chor „Alleluia“ sang, meinte man ebenso die Cherubim und Seraphim einstimmen zu hören. Die Heilige Liturgie war von einer Dynamik gekennzeichnet, die wir uns zumindest in kleinen Häppchen abgucken könnten: Die Kathedrale war gefüllt mit Menschen, die sich während der Liturgie im Kirchenraum bewegten und heiligen Orten ihre Wertschätzung durch Niederknien oder Küsse ausdrückten, und der zelebrierende Priester ging in aller Ruhe auf seiner „kleinen Prozession“ durch die Menschenmassen und ließ jede(n) den „Atem Gottes“ – wie die Bibel auf Armenisch heißt – berühren. Und was würde hierzulande eine(r) – nicht immer, aber immer öfter – für eine Predigtpause geben?

 

Und dann folgte ein atem-beraubendes Geläut der Glocken, Priester, Diakone und Chor sangen um die Wette, das Wirrwarr der Menschenmasse lichtete sich zu einem freien Durchgang inmitten der Kathedrale, eine ältere Dame polierte noch einmal das Kreuz auf dem Podest mitten unter der großen Kuppel, vor welchem sich an diesem Morgen bereits so viele Gläubige niedergekniet und es berührt oder geküsst hatten, das Glockenspiel wurde langsam ruhiger und sanfter und jedes Auge starrte erwartungsvoll zum Kirchenportal. Zahllose Kleriker spazierten in Reih und Glied an uns vorbei bis man langsam die spitzen Kopfbedeckungen der Archimandriten sah und sich die Menschen um uns herum unaufhörlich bekreuzigten und die Gewänder der heiligen Männer berührten. Und dann kam Karekin II.: Er schwebte förmlich durch den Mittelgang, berührte den Kopf jedes(r) Einzelnen und segnete die Gläubigen, die voller Inbrunst auf ihn gewartet hatten. Die Glocken wurden still, auch der Gesang verstummte und wir machten uns – gesegnet vom Katholikos aller Armenier(-innen) – auf zu neuen Gefilden...


Das war mein Armenien! Und eigentlich ist dies doch nur ein kleiner Ausschnitt des umfassenden Wissens, welches unser Guide mit uns geteilt hat über die Geschichte Armeniens, die aktuelle gesellschaftliche Situation sowie die architektonische Entwicklung armenischer Kirchen- und Klosterbauten seit dem 4. Jahrhundert, und die atemberaubend-vielfältigen Landstriche und die zahllosen Kirchen, die wir bestaunt haben, habe ich noch gar nicht erwähnt. Armenien rückt aus verschiedensten Gründen immer mehr ins Zentrum (europäischen) Interesses und das sollte es auch: Eine Reise ist es allemal wert!

PS.: Mein Tipp an alle zukünftig nach Armenien Reisenden:
Armenische Supermärkte sind nicht gleich deutsche Supermärkte! Sie verstecken hinter ihren gewaltigen Fassaden ebenfalls Bäckereien mit übersinnlich leckerem Gebäck (ganz ähnlich den jüdischen Bäckereien), wo zudem immer auch Lawasch gebacken wird: Es ist ein Augenschmaus, wie sich die Bäcker(-innen) in den Ofen schmeißen und nur noch die Beine herausschauen. Und wenn man schon mal im Supermarkt drin ist, kann man direkt auch getrocknetes Obst im Schokoladenmantel kaufen (am besten die „armenische Pflaume“, prunus armeniaca, vgl. auch die Aprikosenfarbe in der armenischen Flagge).


Br. Simeon Gloger OSB

Mit einer Handvoll Kontakte zu Armeniern im Gepäck, vermittelt vor allem durch Father Emmanuel vom Armenischen Patriarchat zu Jerusalem, ging es Anfang April 2019 zur 10-tägigen Exkursion. des Forums Studienjahr in das kleine Land im südlichen Kaukasus. Ich hatte geplant, im Anschluss an die offizielle Exkursion des Studienjahres nochmals drei Tage in einem armenischen Kloster – nämlich in Tathev, einer faszinierenden, altehrwürdigen Klosteranlage nahe der armenisch-iranischen Grenze – zu verbringen, um die monastische Tradition dieser orthodox-orientalischen Kirche kennenzulernen.

 

Stolz nennt sich ja Armenien ältester christlicher Staat der Welt, da laut Überlieferung bereits im Jahr 301 der damalige König Trdat III. das Christentum zur Staatsreligion erhoben hat. In einer derartigen früh-christlichen Geschichte wurzelnd haben wir bei unserer 10-tägigen Studienreise durch das gebirgige Land äußerst beeindruckende Zeugnisse dieser reichen Tradition besichtigt: Uralte Klosteranlagen, die sich mit ihren massiv aus Basalt- und Sandstein errichteten Kreuzkuppelkirchen harmonisch in die zerklüftete Landschaft einfügen, oder – einer meiner persönlichen Höhepunkte – die architektonisch faszinierende Kathedrale von Etchmiadzin, die sich in ihren baulichen Anfängen sogar auf den Anfang des 4. Jahrhunderts zurückführen lässt.

Im hochgelegenen Kloster Tathev, das ich schließlich für drei Tage besucht habe, wurde mir schnell klar, dass es auch für die armenisch-apostolische Kirche ein weiter Weg ist, nach der zurückliegenden langen Sowjetzeit, in der das Christentum nur geduldet war, an diese reiche, über 1000-jährige, monastische Tradition anzuknüpfen. Im Moment leben dort lediglich ein Priestermönch und ein Diakon. Tathev liegt abgeschieden in einer atemberaubenden Landschaft, ist deswegen aber auch ein Touristenmagnet und durch eine Seilbahn – übrigens die längste weltweit – mit dem Rest der Welt verbunden. Ein gemeinschaftliches Leben nach typisch westlich-katholischem Modell, darf man hier allerdings (noch) nicht erwarten.

Der 45-jährige Vater Michael vom Kloster Tathev sprach zum Abschied von den gefühlt drei „Tagen“, die man innerhalb eines 24-Stunden-Tag hier oben in Tathev erleben kann. Am Morgen, bevor die vielen Touristen kommen, wird ab 5 Uhr ein 2 1/2-stündiger Gottesdienst der der dunkel-mystischen Basaltkirche abgehalten wird, dann folgt der „Tag der Touristen“ und schließlich ab 17 Uhr der Abend, wenn das Kloster seine Pforten für die Besucher schließt – dann, wenn während der Vesper die untergehende Sonne die letzten Strahlen über der spektakulären Schlucht des Vorotan hinwegschickt…

 

Manches von dem kann ich in der Tat auch in Jerusalem nachvollziehen. Sicher, bin ich mir aber, nach dieser ereignisreichen Zeit, dass ich nicht zum letzten Mal in Armenien gewesen bin.


Karl Richstein

Es begab sich aber zu der Zeit, als das forum studienjahr einlud, alle Mitglieder und ihre Angehörigen sich einzutragen, in die Anmeldelisten für die diesjährige Große Exkursion ins Land der Armenier. Dies geschah, weil ehemalige Dormitio-Studierende sich ein weiteres Mal einer in Jerusalem kennengelernten alten Kirche in ihrem Heimatland annähern wollten.

 

Da traf sich ein Jeder, welcher am heiligen Osterfeste mitreisen konnte, in einer Stadt im Osten, welche Warszawa ward genannt. So flogen siebenunddreißig (ehemalige) Studierende - meistenteils höheren Semesters – über den Wolken ins wilde Kurdistan in eine Stadt, die Yerevan heißt um zu finden Traditionen aus dem Haus und Geschlechte Davids.

 

Alle wollten sich zeigen lassen altkirchliche Traditionen aus dem früheren Jahrhunderten, begeisternde Landschaften und erwarteten Kontakte zu knüpfen mit Einheimischen und sich mit Freunden zu vergewissern guter alten Zeiten.

 

Und so kam die Zeit der ersten Exkursionstage, die geprägt war von der Niedergeschlagenheit verlassener Klosterkirchen und bedrohlicher Industrieruinen. In jener Gegend aber waren tiefe Schluchten (Kasach≈), die durchwandert, Friedhöfe (Noradus≈ & RajaTaza≈), die besucht und frühzeitliche Höhlen (Areni≈), die entdeckt werden wollten. Hinzu kam die bedrückende Erkenntnis, dass im Laufe der Geschichte Genozide an vielen Stellen der Welt die Menschen heimgesucht hatten - so auch im Armenien des beginnenden 20. Jahrhunderts (MussaLer & Tsisernakaberd).

 

Da traten Engel des Herrn in Person eines umfassend gebildeten local guides (Hradsch Stephanyan) und des engagierten Reiseleiters (Kworg Röwekamp) zu ihnen und der Glanz des Wissens umstrahlte sie. Jene jedoch fürchteten sich sehr (vor zu vollem Programm, vor langen Busfahrten auf schlaglochgespickten Straßen und reisegefährdenden Erregern). Die Engel aber sagten: „Fürchtet Euch nicht, denn wir verkündigen euch große Freude, die euch in diesen Tagen zuteilwerden soll.

Denn siehe, auch ein kleines Land wie Armenien bietet Schönheiten wie große blaue Wasser (Seewansee) umgeben von erhabenen eisbedeckten Gipfeln (Ararat & Aragaz), architektonische Wunder und eine frühlingshafte Flora, welche direkt dem Garten Eden entnommen zu sein scheinen. Und das soll euch als Zeichen dienen: Zurück in heimatlichen Gefilden werdet ihr geschärften Blickes für den Übergang vom Quadrat zum Kreis durch europäische Kirchenbauten gehen, ihr werdet euch sehnen nach der Schlichtheit geometrischer Figuren und der Mystik unleserlicher Schriftzeichen.

 

Als die Engel sie verlassen und alle wohlbehalten ihre Heimat wiedergewonnen hatten, sagten die Reisenden zueinander: Kommt, wir wollen hingehen und den anderen von dem Ereignis unserer Reise erzählen, wollen den Daheimgebliebenen berichten von erlebten Hochzeiten (Kloster SaghmosaVank), Taufen in ursprünglichem Ritus (Höhlenkloster Geghard) und Bestattungen (Kloster HovhanaVank)  und ihnen vortragen himmlische Gesänge aus dunklen Klosterhöhlen (Kloster Geghardt, LuysVocalQuintett).

 

Und alle staunten über die Worte, Bilder und Filmausschnitte die sie mitbrachten.